Fallstudien
Die gesellschaftliche Rolle der Museen wird derzeit stark diskutiert. Mit unserer Forschung wollen wir zu diesen Debatten beitragen und in Berlin die Grundlagen für ein neues gemeinsames Forschungszentrum der Universitäten und Museen zu diesem Thema schaffen. Das Projekt ist interdisziplinär angelegt und vereint historische Perspektiven mit empirischen Fallstudien und praktischen Interventionen. Vier inhaltlich eng verbundene Fallstudien untersuchen:
Digitale Bildwelten
Die Fallstudie untersucht die digitalen Bildwelten, die rund um Museen entstehen, und legt dabei den Fokus auf soziale Aspekte der Interfaces. Gegenstand der Untersuchung sind Sammlungsdaten, digitale Netzwerke, sowie die verschiedenen Schnittstellen der Vermittlung und des Datenaustauschs – von der Datenbank bis zum Social Media Projekt.
Es geht dabei darum, die sozialen Aspekte dieser Technologien mit der gegenwärtigen Auseinandersetzung, um die Zukunft der Institution Museum zu verbinden und gleichzeitig die Themen der Datenpolitik und Datenethik in die kritische Diskussion um Museen als gesellschaftliche Räume zu tragen. Im Rahmen der Digitalisierung im Kulturbereich wird oft davon ausgegangen, dass im digitalen Raum neue Zugänge entstehen. Das Projekt hinterfragt diese Annahme und untersucht die sozialen Beziehungen die Museen im digitalen Kontext gestalten.
Ein wichtiger Aspekt sind dabei auch kommerzielle Plattformen. Im Zeitalter von Smartphones und Social Media sind digitale Netze ein allgegenwärtiger und zentraler gesellschaftlicher Raum geworden. Die kritischen datenpolitischen und datenethischen Fragen die sich mit den derzeit dominanten Plattformen wie Facebook und Instagram verbinden, werden im Projekt in Bezug zur Datenpolitik in der Museumsarbeit gesetzt, sowohl bezogen auf Digitalisierung und Datenbankprojekte als auch auf die digitale Vermittlungsarbeit.
Museen als Labore
Die Fallstudie untersucht Museen als wissenschaftliche und gesellschaftliche Experimentierfelder. Dabei wird auf Konzepte von Zeit und Zeitlichkeit aus den Science and Technology Studies (STS) zurückgegriffen, um die Digitalisierungs- und Sammelpraktiken im und um das Museum für Naturkunde Berlin (MfN) zu untersuchen.
Wie viele andere Naturkundemuseen auf der ganzen Welt ist auch das MfN gerade dabei, seine historische Sammlung von Objekten digital zugänglich zu machen. Die Digitalisierungsarbeit gilt als Voraussetzung, um den Zustand der heutigen als auch früheren Biodiversität zu erfassen und miteinander zu vergleichen. Man geht davon aus, dass Sammlungen Antworten auf die Auswirkungen des Klimawandels geben können und Museen betonen deswegen, dass die Digitalisierung möglichst vieler Objekte auch zu einem besseren Verständnis einer potentiellen Zukunft führen wird.
Für den Diskurs über die Digitalisierung von Objekten spielen Begriffe wie Beschleunigung und Geschwindigkeit eine zentrale Rolle. Man nimmt an, dass die Welt vor einem ‘rasanten’, sich immer weiter ‘beschleunigenden’ Verlust an Biodiversität steht. Dieser Verlust wird als fortwährende und zunehmend an Dynamik gewinnende Krise verstanden, die ‘verlangsamt’ werden müsse. Die Digitalisierungsarbeit dagegen müsse beschleunigt werden, um die Klimakatastrophe zu verlangsamen oder gar abzuwenden. Durch eine schnelle, industrialisierte Digitalisierung von Objekten hofft man mehr über die Veränderungen der Biodiversität zu erfahren und so ‘Antworten’ auf die Krisen unserer Zeit zu finden. Die neue Digitalisierungsstraße “Entomology Conveyor” mit ihrer ‘automatisierten’ Digitalisierung von Objekten in nahezu ‘industriellem Maßstab’, ermöglicht dem MfN diesem Bedürfnis nach Geschwindigkeit nachzukommen.
Die Fallstudie untersucht die Politiken der Digitalisierung aus einer analytischen Perspektive, in der Fragen nach Zeitlichkeit und Geschwindigkeit zentral sind. Indem die Studie sowohl die im Ausstellungsraum zugängliche Digitalisierungsstraße als auch die nicht öffentlichen Digitalisierungsprojekte untersucht, kann sie die Digitalisierung als Spektakel mit der alltäglichen Arbeit der Digitalisierung einer Sammlung zueinander in Beziehung setzen. Wie verhält sich der Beschleunigungsdiskurs zur Digitalisierungsarbeit vor Ort? Was bedeutet diese Beschleunigung, und wer profitiert davon? Die Digitalisierung wird zu einer Methode, mit der naturhistorische Sammlungen aktiviert werden, um zukünftige Krisen zu vermeiden. Darüber hinaus fragt das Projekt auch danach, wie Vorstellungen (un)erwünschter Zukünfte Gestalt annehmen und untersucht, ausgehend von unterschiedlichen Zeitkonzepten, die Verflechtung von Museen, Technologie und Gesellschaft.
Umwelten
Die Fallstudie untersucht Umwelt(en) im Museum und das Museum als Umwelt. Sie verbindet umwelt-, sammlungs- und sozialgeschichtliche Perspektiven mit der aktuellen Frage, wie das Museum seine lokalen und globalen Umwelten gestaltet und wie es durch diese verändert wird.
Im Zentrum steht das Sammeln als soziale (Wissens)Praxis und die Frage nach den Auswirkungen auf lokale Umwelten und auf Wissen und Formen von sozialem Zusammenhalt. Wie sammeln Museen, was für ein Wissen über Umwelt produzieren Sammlungen und welche Bilder von „Natur“ vermitteln Museen?
Gleichzeitig untersucht die Fallstudie Museen selbst als Umwelten. Damit ist zum einen das Museum als soziale Umwelt gemeint: Wie agiert es als Ort und Akteur in der Stadtgesellschaft und im globalen Geflecht ökologischer, sozialer und politischer Beziehungen? Und wie stellen sie als Arbeits-, Forschungs- und Ausstellungsort Gemeinschaft oder Ausschluss nicht nur aus, sondern selbst her? Das Museum als Umwelt zu untersuchen, bedeutet zum anderen, die konkreten Beziehungen und Ökologien zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteur*innen zu beleuchten. Inwiefern können Sammlungen als hybride sozio-technische Umwelten, als Lebenswelten und als Orte sozialer Interaktion und Intervention verschiedener Lebensformen beschrieben werden?
Affekträume
Die Fallstudie konzentriert sich auf verschiedene historische Objektsammlungen aus Süd- und Zentralasien, die die Verbreitung des Buddhismus von Indien nach Asien (entlang der Seidenstraße) nachzeichnen und in den Räumen 314 und 317 des Museums für Asiatische Kunst in Berlin ausgestellt sind. In Abhängigkeit von den unterschiedlichen Seh- und Wahrnehmungsgewohnheiten eines diversen Publikums können die Objekte mehrere Bedeutungen annehmen. Die Ausstellung buddhistischer Kunst in Museen oder anderen säkularen Räumen schafft neue Kontexte und Verbindungen, die oft zu neuen Bedeutungen führen. Museumsausstellungen bieten den Besucher*innen die Möglichkeit, über Konzepte von kultureller Identität und Geschichte aus der Perspektive eines ‘dritten Raums’ (Bhabha 1996) nachzudenken, in dem kulturelle Grenzen unscharf und fluid werden, weil hier die Homogenität in der Wahrnehmung von Kultur in Frage gestellt wird. Den Museumsbesucher*innen kommt so eine Rolle in der Mitgestaltung neuer Erzählungen und Bedeutungen zu. Indem sie die Potentiale und Affekte ausgestellter historischer Narrative wahrnehmen, beschäftigen sie sich zugleich auch mit den inter- und transkulturellen Beziehungen der heutigen Gesellschaft.
Ziele und Forschungsfragen
Kartieren der emotionalen Reise der Besucher*innen im Raum (z.B. ihre kulturellen und psychologischen Standpunkte)
Entwurf eines Fragebogens, den Besucher*innen nach dem Museumsbesuch erhalten, der Aufschluss über die Wirkung der Ausstellung und die Erwartungen der Besucher*innen geben soll. Die Fragen folgen einer ergebnisoffenen und freien Struktur (ohne bestimmte Emotionen anzuregen oder zu unterdrücken), um die Besucher*innen dazu zu motivieren, den Objekten und Räumen Bedeutungen zuzuschreiben und ihre eigenen, unterschiedlichen Gefühle zu beobachten, die sie in ihrer emotionalen Einbindung erleben.
Analyse der Ergebnisse, um folgende Fragen zu beantworten:
1. Welche Rolle spielen Emotionen und Affekte für die Besucher*innen, während sie diese bestimmte Ausstellung erleben?
2. Analyse der gesellschaftlichen Bedeutung von Emotionen.
Aufforderung der Besucher*innen, Ideen zu formulieren, Verbindungen herzustellen und Bedeutungen zuzuordnen.
Was soll den Besucher*innen vermittelt, was in ihnen ausgelöst werden (Perspektive der kuratorischen Position)?
Fördern Museen das gegenseitige Verständnis und Verbindungen zwischen verschiedenen ethnischen, religiösen oder sprachlichen Gemeinschaften?