Weltbilder

Wie werden in der Kunst des 19. Jahrhunderts Weltbilder und Ideen von Fremd- und Andersheit verhandelt und konstruiert?

Diese Präsentation ist das Ergebnis eines Seminares des Sommersemesters 2022 im Master Kunstwissenschaft der TU Berlin. Das Seminar widmete sich dem Zusammenhang von globaler Politik und Kunst im langen 19. Jahrhundert. Es ging darum, wie mit der Kunst Weltbilder und Ideen von Fremd- und Andersheit verhandelt und konstruiert werden. Quer durch verschiedene Berliner Museumssammlungen und mit Bezügen zu anderen Orten wie dem Berliner Zoo, untersuchten wir diese Frage vor allem an Gemälden.

Unter den Titeln sind verschiedene Schlagworte aufgelistet. Sie bieten zum einen eine thematische Einordnung des Kunstwerkes und zum anderen stören sie bewusst den Lesefluss und können somit als kritische Intervention gesehen werden. Zudem sollen dadurch Verknüpfungen zwischen den einzelnen Kunstwerken entstehen.

Das Seminar im Sommersemester 2022 wurde geleitet von Freya Schwachenwald und Lukas Fuchsgruber. Die Umsetzung als Webseite erfolgte durch Meryem Coskun und Julia Reidy (studentische Mitarbeiterinnen im Projekt Museums and Society), unter Verwendung der Referate und Gruppenarbeiten im Seminar.

Teilnehmer*innen des Seminars: Dieu Ly Hoang, Helena Fußeder, Xiaohan Zhou, Rebeka Jovanovska, Antje Lauck, Elisabeth Faul, Lisa Haußels, Julia Reidy, Malena Tschöpe, Shiromi Naskrent, Franziska Everding, Sini-Sophia Kämpny und weitere.

Zuckerrohrplantage von San Esteban bei Puerto Cabello (1842-1845)

#IdeelleAneignung #Reisemalerei #Werbung #Landwirtschaft

Ferdinand Konrad Bellermann

1842-45

Maße: 27,8 x 41,5

Ölstudie; Öl auf Leinwand

Kupferstichkabinett Berlin

Gemälde Zuckerrohrplantage von Ferdinand Bellermann

Bereits vor dem 19. Jahrhundert beschäftigen sich reisende Europäer*innen mit der Darstellung der Welt durch Landschaftsmalerei. Künstler*innen - aber auch Verfasser*innen von Reiseberichten - diskutieren Definitionen des Pittoresken und Sublimen und formulieren damit kulturelle und ästhetische Erwartungen an Repräsentationen der 'Natur'. 'Unberührt', 'enttäuschend', 'transformierbar': Solche und andere Definitionen von Natur finden sich in Gemälden und Texten wieder und illustrieren Sehgewohnheiten, Machtverhältnisse und Aneignungsfantasien - gerade im Kontext außereuropäischer Landschaften.

Bei dem Gemälde handelt es sich um eine Ölstudie einer Zuckerrohrplantage in San Esteban des Künstlers Ferdinand Konrad Bellermann. Diese pittoreske Darstellung vermittelt vordergründig den Eindruck eines paradiesischen Idylls. Bei genauerer Betrachtung kann uns die Malerei jedoch Auskunft über herrschende Arbeits- und Machtverhältnisse geben. Zu sehen ist eine Landschaft, die durch Agrarwirtschaft, Kolonialismus und Sklavenarbeit geprägt ist, aufgrund der idealisierten Darstellung der Natur ist dies jedoch erst bei genauerer Betrachtung zu erkennen. Das Gemälde wurde vom Handelsmann Ludwig Glöckler in Auftrag gegeben. Die venezolanische Natur wird in diesem Zusammenhang als Sehnsuchtsort europäischer Geschäftsleute präsentiert. Unter diesen Aspekten betrachtet könnte dieses Gemälde mit dem Zweck der Werbung für den Ankauf von Land in den Kolonien in Zusammenhang gebracht werden. Dabei wird mit der pittoresken Darstellung eine paradiesischer und zugleich wirtschaftlich profitabler Ort suggeriert.

02 Zuckerrohrplantage

Arbeiter*in, Versklavung

Natur, Idealisierung, Sehnsuchtsort

Machtverhältnisse

Inzenierte Darstellung Indigener Völker

Agrartechnik, Plantagen

Botanik

Zuckerrohranbau

Alexander von Humboldt und Aimé Bonpland am Fuß des Vulkans Chimborazo (1810)

#Machtverhältnisse #KonstruierteWirklichkeit #IdealisierteUmwelt

Friedrich Georg Weitsch

1810

163 x 226 cm

Öl auf Leinwand

Schloss Charlottenburg, SPSG

Humboldt Bonpland Chimborazo

Schon zu Lebzeiten wird Alexander von Humboldt (1769-1859) als Kosmopolit, Weltreisender und 'Weltversteher' gehandelt. Seine Reisewerke sind weit verbreitet und prägen öffentliche und private Debatten zu den Künsten, Wissenschaften und Definitionen der Welt und des Kosmos. Auch fördert er reisende Künstler und setzt sich politisch für die Etablierung einer Sammlung von 'Weltbildern' im Kupferstichkabinett Berlin ein.

Das Werk zeigt Alexander von Humboldt und Aimé Bonpland während ihrer Expedition zum Vulkan Chimborazo. Innerhalb des Gemäldes verwirklicht sich der Entdeckergedanke des Auftraggebers. Dies zeigt sich unter anderem durch die naturalistische Darstellung der Flora und Fauna, sowie der bei der Expedition verwendeten Werkzeuge und Messgeräte. Neben der kosmopolitischen Darstellung Humboldts lassen, sich jedoch auch Machtverhältnisse und Gruppenhierarchien innerhalb der Expeditionsgruppe beobachten.

Humboldt Bonpland Chimborazo

Idealisierte Naturdarstellung

Geologie

Inzenierung, Indigene Völkerdarstellung

Messgeräte, Werkzeuge

Machtverhältnisse, Geografische Darstellung von Südamerika

Entdeckergedanke, Konstruierte idealisierte Wirklichkeit

Naturforschung, Botanik, Dokumentatin, Idealisierung, detaillierte Darstellungsweise der Umwelt - ethnografischer Anspruch an das Gemälde

Das Innere des Palmenhauses (1832/1833)

#Inszenierung #IdealisierteUmwelt #PhysischeKulturelleAneignung

Carl Blechen

ca. 1833

64 x 56cm

Berlin, Nationalgalerie

Öl auf Papier, auf Leinwand übertragen

Gemälde Palmenhaus von Carl Blechen

Von Reisebildern zum Reisen daheim: Mit der Verbreitung von Darstellungen der 'Welt' im 19. Jahrhundert nehmen auch die Möglichkeiten zu, das 'Fremde' 'zuhause' erleben. Fantasien des 'Tropenwaldes' spielen im Kontext von Berlin dabei eine besondere Rolle, nicht nur durch das Wirken von Alexander von Humboldt. Auf der Pfaueninsel eröffnet König Wilhelm III. 1832 ein Palmenhaus, das der Künstler Carl Blechen in mehreren Ölgemälden darstellt. Eine private Aktiengesellschaft betreibt von 1874 bis 1904 das Palmenhaus "Flora" in Charlottenburg, eine Vergnügungsstätte mit Bühne, Restaurant und Festsaal.

Blechens Werk zeigt einen sonnendurchfluteten gläsernen Raum mit tropischen Pflanzen und weiblichen Figuren, die dem Bildtypus traditionell gekleideter ‚Odalisken‘ folgen. Bei dem Werk handelt es sich um eine Ölstudie, die der Künstler neben vielen weiteren Zeichnungen schuf und die exotischen Pflanzen der Pariser Palmensammlung Foulchiron von Friedrich Wilhelm III. darstellend, für die der König 1830 nach Plänen Karl Friedrich Schinkels ein Palmenhaus auf der Pfaueninsel bei Potsdam errichten ließ. Das Werk zeichnet sich durch harmonische warme Farben aus und betont die Faszination und physische Aneignung fremder Natur, bei der er sich in diesem Beispiel um einen inszenierten kultivierten 'Urwald' handelt. Die Ergänzung der Inszenierung von liegenden ‚Odalisken‘ im Bild unterstreicht die Exotisierung und den Orientalismus.

Postkarte Palmenhaus Flora

Postkarte Palmenhaus Flora
Gemälde Palmenhaus von Carl Blechen

Exotisierung, Orientalismus, indisch gekleidete Frauen

Eisen-Glas-Konstruktion, Industrialisierung, Inszenierung

Palmenhaus

kultivierter "Urwald" - physische kulturelle Aneignung

Postkarte Palmenhaus Flora

Fremdheitsgefühl

Botanik aus In- und Ausland

Inszenierter Vergnügungsort, Kommerzielle Nutzung

Wandbilder im Ägyptensaal des Neuen Museums

#PhysischeKulturelleAneignung #IdeelleKulturelleAneignung

Friedrich August Stüler

zwischen 1843 -1855

Berlin, Neues Museum

Gemälde:

„Das Neue Museum in Berlin“ Eduard Gaertner

Lithografie nach einem Aquarell von Eduard Gaertner

Vermutlich: Aquarell von 1850 und Lithografie 1862 erschienen in Stüler, Friedrich August: Das Neue Museum in Berlin, 1862

Ägyptensaal

Das in der Mitte des 19. Jahrhunderts errichtete Neue Museum in Berlin enthält Kulturerbe unter anderem aus Ägypten. Im sogenannten Ägyptensaal werden diese in einer Säulenhalle präsentiert, die mit Wandbildern versehen ist, die Landschaften und Architektur Ägyptens zeigen, im spezifischen Blick europäischer Maler.

Bei der Ausstattung des Raumes handelt es sich um eine Nachbildung des Ramesseums in Theben-West, durch den Architekten Friedrich August Stüler. Die Architektur stellt den Ausstellungsraum für die Ägyptische Sammlung des Neuen Museums Berlin dar, welche größtenteils von der 1842 und 1845 durchgeführten Expedition des Ägyptologen Richard Lepsius stammte. Der Hof gliedert sich in einen antikisierenden Peristylhof und einer darüberliegenden Galerie. Die Wände der Peristyls sind mit Fresken mit Darstellungen rekonstruierter ägyptischer Monumente ausgestattet. Unter anderem die Pyramiden von Memphis und Gizeh, oder verschiedene Darstellungen des Tempels von Karnak. Innerhalb der Nachbildung lässt sich unter anderem eine auf Hieroglyphen verfasste Widmung für Friedrich Wilhelm IV. finden. Die Architektur konstruiert eine idealisierte Version ägyptischer Ruinen. Man sah in dieser architektonischen Umsetzung eine harmonische Verbindung von Ausstellungsraum und den dort gezeigten Exponaten. Diese dient innerhalb des preußischen Museumskontextes als eine kulturelle Aneignung zur Schaffung eines öffentlichen Repräsentationsraums und einer konstruierten Welt(vorstellung).

Ägyptensaal

Wunschprojektion

Ägyptische Mythologie

Öffentliche Präsentationsraum, Bildungsauftrag

Fremdheitsgefühl

TW Antilopenjagd im Berliner Zoo

#Jäger #Jagdszene #Idealisierung #Gewalt #Tierdarstellung #Fliesen #Phantasiedarstellungen #Orientalismus

Paul Meyerheim

1871/72; Zerstörung 1940; 1986 Rekonstruktion auf Faience

Antilopenhaus Zoo Berlin

Antilopenhaus TW en
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Antilopenhaus Zoologischer Garten
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1871/72 entsteht ein "orientalisch" stilisiertes Gebäude im Berliner Zoo, mit einem Gemälde einer Antilopenjagd des damals wichtigsten Tiermalers Paul Meyerheim über dem Eingang. Welches Bild entfernter Regionen wird durch die Architektur und das Gemälde erzeugt? Wie können wir den "Orientalismus" des Gebäudes und des Gemäldes im damaligen historischen Kontext interpretieren?

Paul Meyerheims Wandgemälde stellt eine Antilopenjagd dar. Zu sehen ist ein Mann auf einem Pferd in einer Steppenlandschaft. Meyerheim, welcher nie den afrikanischen Kontinent gesehen hatte, konstruiert in seinem Werk ein Bild des Sudans und der dort lebenden Personen, welches mit rassistischen Stereotypen verbunden ist. Das Antilopenhaus und der Berliner Zoo können als Repräsentanten kolonialer Ideologie, welche sich unter anderem in der Architektur und der künstlerischen Ausstattung der Räume ausdrückt gesehen werden. Der Zoo wird hierdurch nicht nur als Unterhaltungsort stilisiert, sondern auch als imperiale Machtdemonstration.

Antilopenhaus Zoologischer Garten

Leinwandreproduktion auf Fliese

Halbnackter muskulöser Jäger - erotisierende rassifizierende Darstellung

Tote Antilopen im Gegensatz zu lebenden im Zoo - Europäisches Rettungsnarrativ

Ort: Antilopenhaus im Zoo, Raum für imperialistische Repräsentation

Fiktive Jagdszene, Künstler war nie auf dem afrikanischen Kontinent

Der Löwe an der Tränke

#KonstruierteWirklichkeit #AkademischerRealismus #Machtdemonstration #Kolonialismus

Wilhelm Kuhnert

1907

Öl auf Leinwand

61,5 x 98,5 cm

Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie

Gemälde Löwe an der Tränke von Kuhnert W

Der Berliner Maler Wilhelm Kuhnert repräsentiert die Tiermalerei der Generation nach Meyerheim. Er war direkter mit dem Kolonialismus verbunden, denn er war Jäger und als reisender Maler in Afrika unterwegs. Er war z.B. auch an der Niederschlagung des Maji-Maji Aufstands beteiligt und fertigte Gemälde davon an. Eine koloniale Herrschaftsposition und ein dazugehöriger Besitzanspruch äußern sich in Kuhnerts Darstellung der Landschaft und Tierwelt Ostafrikas, zu welchem ihm die künstlerische Ausführung eines vermeintlich realistischen Abbilds der Natur dient. In Kuhnerts Werken, seinen Handlungen, Reiseberichten und Tagebucheinträgen zeigt sich, mit welcher Selbstverständlichkeit der Künstler die ostafrikanische Natur für seine Werke beanspruchte und mit welch verklärtem Blick er die eigene Rolle als Kolonisator auslebte.

Das Gemälde zeigt einen Löwen an einer Wasserquelle sitzend. Stilistisch ist es der Richtung des akademischen Realismus zuzuordnen. Kuhnert eignet sich durch seine Darstellungen die Natur und die Tiere Afrikas an, und nutzt diese für heroisierende Selbstdarstellung und als koloniale Machtdemonstration. Dies zeigt sich beispielsweise in der Ausstellung seiner Werke im Kontext politischer Repräsentation. Zum Beispiel bei der Weltausstellung 1904 in St. Louis fanden sich seine Werke im Bereich zu Deutsch-Ostafrika, zudem wurden sie in der Deutsch-Kolonialen Jagdausstellung 1903 in Karlsruhe ausgestellt.

Gemälde Löwe an der Tränke von Kuhnert W

Jägerperspektive vs. Malerperspektive, der Maler war selbst Jäger

Tier im Habitat, Jagdbeute

Realitätsanspruch, Inszenierung

Jagdausstellung
Jagdausstellung

Werbung für Kolonien

Jagdtrophäe

Selbstdarstellung, Heroisierung

TW (Trigger Warning) Kämpfende Tiger über der Leiche eines Javaners

#Tierdarstellung #Kampfszene #Aggressivität

Raden Saleh

1870

Öl auf Leinwand

190 x 261 cm

Belvedere Wien, Dauerleihgabe im Weltmuseum

Saleh TW En
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Gemälde von Raden Saleh
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In Indonesien und Singapur zählt Raden Saleh Syarif Bustaman (1811-1880) heutzutage zu einem der Wegbereiter der Moderne und wird häufig als Nationalheld gefeiert. Der Künstler lebt Mitte des 19. Jahrhunderts fast 25 Jahre in Europa und verbringt längere Zeit in Dresden, Coburg und Gotha, wo er in der Gesellschaft als ‚orientalischer Prinz‘ aufgenommen wird. Er passte sich den orientalistischen Vorstellungen der Dresdner Kunstinteressent*innen an und inszenierte sich und seine Arbeiten in diesem Licht. In Deutschland gewann er unter anderem durch seine exotisierenden Tierdarstellungen an Bekanntheit. In Indonesien hingegen wird seine Nähe zur niederländischen Kolonialmacht oft kritisch gesehen. Saleh betätigt sich sowohl als Tier- als auch Historienmaler.

Es handelt sich um ein Orientbild der Romantik, welches ein Geschenk des Künstlers an Kaiser Franz Joseph war, der ihm im Jahr 1870 den Franz Joseph Orden verliehen hatte. Es wurde 1871 im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie ausgestellt. Salehs Werk von 1870 war als Leihgabe im früheren Völkerkundemuseum zu sehen, als Darstellung eines getöteten Einheimischen der ehemaligen niederländischen Kolonie. Saleh schuf in seiner Zeit in Dresden, wo er mehrere Jahre lebte und arbeite, eine Vielzahl an Werken mit orientalistischem Charakter. Dazu zählten unter anderem exotisierende Tierdarstellungen. Das Gemälde zeigt sowohl inszenierte aggressive Darstellungen von Gewalt und Tod als auch eine übersteigerte Emotionalität der kämpfenden Tiger. Das nicht mit der Realität übereinstimmende Motiv reproduziert rassistische Stereotype.

Gemälde von Raden Saleh

Orientbild in der Romantik

Inszenierte Emotionalität der Tiere

Aggressivität/Angriff - Gewaltdarstellung, Rassismus, Tod

Self-Portrait as a Tahitian (1934)

#Identität/Zugehörigkeit #Gender #Feminismus #Sexualität #Kolonialismus #Romantisierung #Fremdwahrnehmung #Selbstwahrnehmung

Amrita Sher Gil

Öl auf Leinwand

90 × 56 cm

Neue Galerie Kassel

Gemälde von Amrita Sher-Gil

In Self-Portrait as a Tahitian setzt Amrita Sher-Gil ihren Körper für ein Zitat ein, das ein Jahr nach dem Ende ihres Studiums an der École des Beaux-Arts in Paris entstand. In Reaktion auf die Inszenierung von ‚exotischer‘ Sexualität in den Werken Paul Gaugins, und durch die Einbindung außereuropäischer Formen in europäische Bildtraditionen, wird uns ein kritischer Spiegel vorgehalten: Anstatt die zurückhaltende Position der Muse einzunehmen, schlüpft die Künstlerin sowohl in die Rolle des Subjekts als auch der Autorin, wodurch sie dem Blick eines weißen Kolonialismus entgegentritt.

Wie dem Titel zu entnehmen ist, handelt es sich bei dem Gemälde um ein Selbstporträt der Künstlerin, welches Sher-Gil von der Hüfte aufwärts im Dreiviertelprofil zeigt. Ein weißes Tuch bedeckt ihre Hüfte, während der Rest ihres Oberkörpers vollständig nackt ist. Ihre Arme hält sie verschränkt vor ihrer Hüfte, trägt einen langen schwarzen Pferdeschwanz, ihre Lippen sind voll und rot und ihren Blick richtet Sher-Gil links neben die Betrachter*innen. Links von ihr ist der Schatten einer männlich anmutenden Figur zu erkennen. Der Hintergrund schließt zusätzlich an japanisch erinnernde Figuren ein, nämlich einen sitzenden Mann und zwei Frauen in Kimonos sowie ein pagodenähnliches Gebäude und die Umrisse eines japanischen Hofes. Impulse für ihre Arbeiten und ihr Selbstporträt erhielt Amrita Sher-Gil aus den Arbeiten des französischen Künstlers Paul Gauguin, die während seiner Reisen durch Tahiti entstanden sind. Die Gestaltungsmerkmale mit japanischen Motiven und Figuren spielen auf den sogenannten Japonismus an. Der Künstler Vincent van Gogh ließ neben Gauguin ebenfalls japanische Motive in seinen Gemälden mit einfließen, von dessen Arbeiten sich Sher-Gil ebenfalls inspirieren ließ.

Gemälde von Amrita Sher-Gil

Japonismus, Inspiration van Goghs

Nackter Körper, Aufrechte Körperhaltung - bewusste feministische Selbstdarstellung

Weiblicher vs. männlicher Blick, Reaktion Gaugins

Glossar

Die heute noch vorhandenen Spuren der kolonialen Vergangenheit bleiben meist unbeachtet, sie haben jedoch noch immer Einfluss auf unsere Wahrnehmung der Welt. Unter anderen zeigt sich dies in der Sprache. Um einer kritischen Darstellung näher zu kommen und möglichst keine diskriminierenden Stereotype zu reproduzieren, stellt dieses Glossar die Herkunft, Geschichte, Verwendung und Problematik einiger Begriffe dar.

Ägyptomanie

„Ägyptenbegeisterung, besonders nach den von Napoleon Bonaparte geförderten Expeditionen 1798 bis 1801; beeinflusste die Mode, Architektur, bildende Kunst und das Kunsthandwerk.“ [1]

Entdeckergedanke/Forschungsreisen

Besonders im kolonialen Kontext „war das Anlegen umfangreicher Objektsammlungen zentraler Bestandteil wissenschaftlicher Forschungsreisen. Anhand der Gegenstände sollten Erkenntnisse über die menschliche Natur und die unterschiedlichen Lebensweisen der Menschen gewonnen und vermittelt werden. Dazu gehörten Alltagsgegenstände oder auch religiöse Objekte, weshalb alles ertauscht, gekauft und gestohlen wurde, was Reisende als interessant einstuften.“ Dadurch wurden lokalen Bewohner*innen ihrer Kultur enteignet oder Ritual- und Fetischgegenstände für den europäischen öffentlichen Museumsraum dekontextualisiert. [2]


Eurozentrismus

„Entstanden zur Zeit der Kolonisierung versteht ein eurozentrisches Weltbild Ideen, Wertvorstellungen und Lebensweisen, die in europäischen Ländern entstanden sind. [...] Eurozentristische Handlungen zeichnen sich durch dominantes, bekehrendes, „richtiges“ beziehungsweise missionierendes Verhalten gegenüber Menschen und Staaten aus, die (zugeschriebenerweise) andere Wertvorstellungen leben oder andere gesellschaftliche Systeme haben. Zudem beschreibt Eurozentrismus die Vorherrschaft von westlichen, weißen Perspektiven in Wissenschaft, Politik und Wirtschaft.“ [3]

Exotisch

Der Begriff "exotisch" wird im Eurozentrismus bzw. kolonialem Denken zur Beschreibung von Pflanzen und Tieren, aber auch für Menschen (in der Regel Personen of Color) verwendet, denen zugeschrieben wird anders zu sein, insbesondere in Bezug auf Aussehen und Namen. [4] (Vgl. Eurozentrismus)

Imperialismus

„Imperialismus bezeichnet die zielstrebige Erweiterung und den systematischen Ausbau des wirtschaftlichen, militärischen, politischen und kulturellen Macht- und Einflussbereiches eines Staates in der Welt. Als Zeitalter des Imperialismus gilt der Zeitraum zwischen 1870 bis 1918, in dem z. B. die europäischen Mächte (GBR, FRA, BEL, PRT, DEU) Afrika untereinander aufteilten.“[5]

Inszenierung

Eine künstlerische Inszenierung kann - insbesondere im eurozentristischen, kolonialen Kontext - eine verzerrte oder gar falsche Darstellung einer Lebensweise, Geschichte oder Gruppe darstellen. Durch künstlerische Bildsprache können rassistische Stereotype verankert werden. Damit einher gehen Idealisierungen und Wunschprojektionen. (Vgl. Pittoresk und Stereotyp)

Japonismus

Japonismus beschreibt die Aneignung von Elementen der japanischen Kultur auf die Kunst des Westens - vor allem Frankreichs. Er prägte den Impressionismus, Art Nouveau und Jugendstil. [6]

Kulturelle Aneignung

“Die kulturelle Aneignung ist die Übernahme einiger Bestandteile einer anderen Kultur für sich selbst. Das kann Kleidung, Musik, Essen, aber auch Kunst betreffen. Kritik erfolgt meistens dann, wenn es sich um die Kultur einer Minderheit handelt. Das sind Bevölkerungsgruppen, die in sozial, politisch, wirtschaftlich, oder militärisch unterdrückt werden“ und stark von Rassismus betroffen sind. Denn Personen, die Dinge aus einer ihr fremden Kultur übernehmen, erleben nicht die verbundene Diskriminierung. [7]

Male Gaze bzw. männlicher Blick

In der Kunst spricht man beim Male Gaze bei Darstellungen von Frauen, welche von einem männlichen, heterosexuellen Blick auf den weiblichen Körper charakterisiert sind. Dieser zeichnet sich unter anderem durch eine objektifizierende und sexualisierte Darstellung von Frauen aus. Als Antwort darauf bzw. Gegensatz dazu kann die feministische Theorie des Female Gaze gesehen werden. Hier geht es um das Abweichen von männlichen heteronormative Blicken innerhalb künstlerischer Auseinandersetzungen. [8]

Maji-Maji Aufstand

Am 20. Juli 1905 begann der sogenannte Maji-Maji Aufstand. Es handelt sich dabei um Aufstände der lokalen Bevölkerung gegen die Deutsche Fremdherrschaft und Unterdrückung in der damaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika. Die deutschen Truppen unterdrückte den Widerstand mit brutalen Maßnahmen. Man geht davon aus das rund 250.000 - 300.000 Menschen durch den Krieg und seine Folgen getötet wurden. Der Aufstand endete offiziell am 18. Februar 1907. [9]

Orientalismus

Der Begriff des Orientalismus geht vor allem auf das 1978 von Edward Said publizierte Werk Orientalism zurück. Darin wird die Konstruktion des Orients durch europäische Autor*innen thematisiert. Dabei steht der „Orient“ als Gegenkonstruktion zum „Abendland“. In der westlichen bildenden Kunst drückt sich der Orientalismus durch die stereotypische Fremddarstellung verschiedener Regionen aus. Dadurch wurden exotisierende und rassistische Wahrnehmungen vermittelt, welche als Legitimierung eines imperialen und kolonialen Anspruch Europas betrachtet werden kann. [10]

Othering

„Von Othering spricht man, wenn eine Gruppe oder eine Person sich von einer anderen Gruppe abgrenzt, indem sie die nicht-eigene Gruppe als andersartig und fremd beschreibt. Dies geschieht in der Regel innerhalb eines Machtgefälles: die als anders Beschriebenen sind von Diskriminierung betroffen und haben deswegen wenig Möglichkeiten, sich gegen die Zuschreibung zu wehren.“ [11]

Picturesque/Pittoresk

Der Begriff trägt seinen Ursprung in der englischen Landschaftsmalerei.Er beschreibt eine Form der ästhetischen Wahrnehmung einer natürlichen Szenerie, welches die der kompositorischen Ästhetik eines Gemäldes oder Bildes angleicht (Ursprung „like a picture“). Damit einher geht auch eine Konstruktion von Landschaft und Narrativen, die den Eindruck einer natürlichen Darstellung vermitteln, jedoch nach vorgefassten Idealen (sowohl ästhetischen als auch gesellschaftlichen) gestaltetwurden und dadurch eine neue ‚imaginierte Realität‘ schaffen. Romita Ray beschreibt in ihrem Buch „Under the Banyan Tree“, wie diese Form der imaginierten Umwelten auch auf die europäischen Darstellungen von Kolonien zutraf. [12]

Primitiv

Primitiv leitet sich vom lateinischen Wort primitivus ab, was so viel wie Erstgeboreneroder Erster seiner Art bedeutet. Im europäischen Denken wurde es zum Synonym für das rassifizierte und zeitlich "Andere", also Menschengruppen, die mit einer Existenz in der fernen Vergangenheit gleichgesetzt wurden und denen Eigenschaften abgesprochen wurden, die als europäisch angesehen wurde, insbesondere bestimmte Vorstellungen von Fortschritt und Rationalität. [13] (Vgl. Stereotyp)

Rassismus

„Rassismus ist der Prozess, in dem Menschen aufgrund tatsächlicher oder vermeintlicher körperlicher oder kultureller Merkmale (z. B. Hautfarbe, Herkunft, Sprache, Religion) als homogene Gruppen konstruiert, hierarchisierend bewertet und ausgegrenzt werden. Der klassische Rassismus behauptet eine Ungleichheit und Ungleichwertigkeit von Menschengruppen auf Grundlage angeblicher biologischer Unterschiede [...]. Im Neorassismus wird die Ungleichheit und Ungleichwertigkeit mit angeblichen Unterschieden zwischen „Kulturen“ zu begründen versucht. Rassismus ist die Summe aller Verhaltensweisen, Gesetze, Bestimmungen und Anschauungen, die den Prozess der Hierarchisierung und Ausgrenzung unterstützen. Sie beruhen auf ungleichen Machverhältnissen.“ [14]

Stereotyp

„Unter Stereotypisierung wird der Prozess verstanden, durch den konstruierten sozialen Gruppen wenige, stark vereinfachte Eigenschaften zugeschrieben werden. Ihnen zugeordnete Personen werden infolgedessen auf ihre zugeschriebene Gruppenzugehörigkeit und diese Eigenschaften reduziert werden. Dadurch werden sowohl Gemeinsamkeiten zwischen als auch Unterschiede innerhalb der konstruierten Gruppen verwischt. Durch Stereotypisierung wird das „Wesen“ der konstruierten Gruppen und der ihr zugeordneten Personen bestimmt und umgekehrt die zugeschriebenen Eigenschaften mit dem „Wesen“ der konstruierten Gruppen erklärt. Zugeschriebene Eigenschaften und Verhalten werden also essentialisiert und naturalisiert.“ [15]

[1] museum-digital Berlin 2020. URL: https://themator.museum-digita... (letzter Zugriff am 15.09.2022)

[2] Vgl. Virtuelle Ausstellung des Projekts „Kolonialismus und Museum“ der Universität Hamburg: Koloniale Hintergründe: Das Museum für Völkerkunde Hamburg, Hamburg 2015. URL: https://artsandculture.google.... (letzter Zugirff am 15.09.2022)

[3]Berlin Biennale, Messy Glossary, Berlin 2022. URL: https://12.berlinbiennale.de/m...(letzter Zugriff am 20.09.2022)

[4] Vgl. Glossary of Terms from A to Z, in: Words matter, An unfinished guide to Word Choices in the Cultural Sector, S.107

[5] Schubert, Klaus/Martina Klein: Das Politiklexikon. 7., aktual. u. erw. Aufl. Bonn: Dietz 2020.

[6] Dean, Martin „Things you Need to Know about Japonisme“ in: https://www.sothebys.com/en/ar... (letzter Zugriff: 08.11.2022).

[7] Vgl. Schabenstiel, Tina: Debatte um kulturelle Aneignung, Nürnberg 2022. (URL: https://www.maxneo.de/2022/02/... (letzter Zugriff am 15.09.2022)

[8] Jahn-Sudmann, Andreas; Kaczmarek Ludger: gaze/male gaze in: Lexikon der Filmbegriffe: https://filmlexikon.uni-kiel.d... (letzter Zugriff: 20.09.2022)

[9] „Vor 115 Jahren: Der Maji-Maji Aufstand in: Bundesamt für politische Bildung: https://www.bpb.de/kurz-knapp/... (letzter Zugriff: 08.09.2022)

[10] Lexikon der Geographie: Orientalismus in: Spektrum.de: https://www.spektrum.de/lexiko... (letzter Zugriff 20.09.2022) / Edward Said: Orientalismus. Ullstein 1981

[11] Wörterbuch: Othering in: Diversity Arts Cultures, https://diversity-arts-culture... (letzter Zugriff 22.09.2022)

[12] Ray, Romita: "The Picturesque Prism. Refracting India." In: dies. Under the Banyan Tree. Relocating the Picturesque in British India. New Haven 2013, S. 3.

[13] Vgl. Modest, Wayne & Lelijveld, Robin (editors) 2018. Words Matter, Work in Progress I. National Museum of World Cultures., S. 132.

[14] Glossar: Rassismus, in: Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e.V.: https://www.idaev.de/recherche... (letzter Zugriff 15.09.2022)

[15] Glossar: Stereotypisierung, in: Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e.V.: https://www.idaev.de/recherche... (letzter Zugriff 15.09.2022)

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